24. Januar 2024
 

Hündin Luna 

Der Anruf kommt während der Mittagspause. „Unserer Labradorhündin Luna geht es gar nicht gut. Heute Morgen schien sie noch ganz munter, ist spazieren gegangen und hat normal gefressen. Aber seit ungefähr einer Stunde wirkt sie ganz verändert. Sie kann kaum stehen, hechelt und sieht ganz blass aus. Können wir kommen?“ So ein Vorbericht alarmiert die Praxismitarbeitende sofort. „Wann können Sie hier sein?“ - „In einer halben Stunde.“  - „Dann machen Sie sich direkt auf den Weg.“ 

Als die Hundebesitzerin, eine Frau um die sechzig, mit der Patientin in der Praxis eintrifft, sind Röntgen- und Ultraschallgerät schon vorbereitet. Wenn der Zustand der Hündin es erlaubt, müssen wir möglichst schnell herausfinden, was die Ursache für ihre plötzliche Erkrankung ist. Luna läuft sehr langsam und legt sich schon nach wenigen Schritten hin. Auf dem Behandlungstisch lässt sie sich teilnahmslos untersuchen. Die Maulschleimhaut ist blass, porzellanfarben – eigentlich sollte sie rosig sein. Und schon bei leichtem Druck auf den Bauch reagiert die Hündin schmerzempfindlich. Ich brauche mehr Informationen. „Hat Luna irgendwelche Vorerkrankungen? Bekommt sie Medikamente?“ Luna ist das erste Mal bei uns, deswegen kenne ich ihre Krankengeschichte nicht. Die elf Jahre alte kastrierte Hündin hatte laut Besitzerin wohl mal erhöhte Leberwerte, aber eine Ultraschalluntersuchung vor einem Jahr hat keine Veränderungen gezeigt. „Könnte es Gift sein?“, fragt sie besorgt. Das kann ich schnell ausschließen, denn Luna ist immer an der Leine und hatte in den letzten Tagen keine Gelegenheit, irgendetwas unbemerkt zu fressen. 

Die Röntgenaufnahme gibt mir erste Hinweise: Eine deutliche Umfangsvermehrung und verschwommene Strukturen im Bauchraum fallen auf. Zusammen mit den ersten Blutergebnissen kann ich einen Verdacht äußern: „Alle Symptome deuten darauf hin, dass sie in die Bauchhöhle blutet. Das könnte ein Tumor sein. Genaueres kann ich nach einer Ultraschalluntersuchung sagen.“ Die Besitzerin schaut mich schockiert an: „Frau Doktor, das darf nicht sein. Unsere Luna ist doch noch ganz fit gewesen bis jetzt! Was machen wir denn dann?“ Wir einigen uns darauf, erst einmal den Ultraschall abzuwarten, bevor wir über weitere Schritte sprechen. Die Hündin, die durch eine Infusion in die Vene stabilisiert und mit Schmerzmitteln versorgt wurde, lässt das alles apathisch über sich ergehen. Leider habe ich ziemlich bald die Gewissheit: In der Bauchhöhle ist freie Flüssigkeit, eine Punktion bestätigt: Es ist Blut. Die Milz ist sehr groß und in ihrer Struktur auffällig. Dieses Organ könnten wir gut operativ entfernen. Aber auch die Leber sieht hochgradig verändert aus, wir müssen vom Schlimmsten ausgehen – wahrscheinlich ein bösartiger Tumor. Eine genaue Diagnose kann ich allerdings nur durch eine Eröffnung der Bauchhöhle, also eine Operation, stellen. 

Lunas Besitzerin ist fassungslos. „Krebs! So plötzlich!“ Ich verstehe, dass sie schockiert ist. Heute früh schien noch alles normal, und keine acht Stunden später erfährt sie, dass ihre Hündin sterbenskrank ist. Nun muss sie entscheiden: Soll eine Operation versucht werden? Im Fall eines inoperablen Tumors sollte die Hündin dann noch in Narkose euthanasiert werden. Oder soll Luna direkt einschlafen dürfen? Die Besitzerin ist wie vor den Kopf gestoßen. Sie muss eine Entscheidung treffen. Aber dazu braucht sie mehr Informationen. Luna ist ihr erster Hund. Wie viele Tierhalter hat sie den Gedanken an einen möglichen Tod ihres geliebten Tieres bisher weit von sich geschoben. „Und wenn ich sie erstmal wieder mitnehme? Geht das nicht? Vielleicht stirbt sie ja zu Hause im Schlaf!“ Ich mache ihr klar: Lunas Zustand ist so ernst, dass eine Entscheidung sehr schnell getroffen werden muss. Abwarten ist keine Option, die Hündin leidet. Aufgrund des kritischen Zustands und der sehr schlechten Prognose rate ich vorsichtig zum Einschläfern. Lunas Besitzerin ist skeptisch: „Ist das nicht schrecklich für Luna, so eine Todesspritze? Ich habe furchtbare Angst, dass sie sich quält. Ich habe so schlimme Dinge über das Einschläfern gelesen. Eine Operation will ich ihr nicht mehr antun. Aber ich möchte, dass Luna ohne Todeskampf stirbt. Wie geht das denn überhaupt vor sich?“ 

Lunas Besitzerin telefoniert mit ihrem Partner, der kurze Zeit später dazukommt. Nachdem ich ihnen den Ablauf der Euthanasie erklärt habe, sind sie etwas beruhigt. Sie entschließen sich, Luna gehen zu lassen. Ich gebe Luna über den schon vorhandenen Venenzugang ein Narkosemittel. Als beide sich von ihr verabschiedet haben, bekommt die Hündin die zweite Spritze mit dem tödlich wirkenden Schlafmittel. Die Besitzerin hält ihren Kopf und streichelt sie. Nach wenigen Augenblicken ist Luna tot.

So traurig der Fall war: Luna musste nicht lange leiden. Sie ist schließlich sanft eingeschlafen – so, wie ihre Besitzerin es sich für sie gewünscht hatte.